Inhalt

zur Navigation

Drahtseilakt

Rund dreißig Zirkusse schlagen quer durch Österreich ihr Zelt auf – und sind sich die meiste Zeit gegenseitig im Weg. Die Kassa klingelt immer seltener, und in der Manege herrscht oft Langeweile. Der Wanderzirkus kämpft ums Überleben.

Text: Thomas Trescher
Fotografie: Ursula Röck
Jetzt ist schon wieder was passiert. André Reinhard steht auf einem drei Meter hohen, mit Seilen festgezurrten Turm, wo er auf einem Brett balanciert, unter dem sich eine Rolle hin- und herbewegt. Gerade wollte er zusätzlich auf ein Skateboard steigen, doch das liegt jetzt drei Meter tiefer auf dem Manegenboden. Dort, wo gerade auch eine der drei brennenden Fackeln lag, mit denen er jonglieren wollte. Zwei Nummern zuvor bockte ein Pferd während der Dressurnummer, da konnte Zirkusdirektor Mike Reinhard noch so sehr mit seiner Peitsche knallen und dem Tier gut zureden. Im kleinen Circus Aros, der gerade im salzburgerischen Obertrum sein Zelt aufgeschlagen hatte, klappt nicht immer alles perfekt. Und auch, was klappt, ist – mit Ausnahmen – nicht gerade auf dem höchsten Stand der Zirkuskunst.

zirkus1

Doch dem Publikum ist das egal, es klatscht umso lauter, als André Reinhard schlussendlich doch auf dem Skateboard steht. Das rot-gelb gestreifte Zirkuszelt ist gut gefüllt, rund 300 Personen, meist Eltern mit ihren Kindern, haben rund um die Manege Platz genommen, und sie fühlen sich offenbar bestens unterhalten.

Wäre es immer so, Mike Reinhard könnte nicht klagen. Ist es aber nicht. Der 37-Jährige ist mittlerweile aus seinem blitzblauen, goldverzierten Kostüm geschlüpft, sitzt nach der Vorstellung in seinem geräumigen Wohnwagen an einem Tisch und kann eigentlich auch nicht erklären, wieso er sich das Zirkusleben immer noch antut. „Dass man alles hinschmeißen will, das kommt oft vor; es ist ja ständig was. Es sind die Tiere da, der Platz muss gemietet werden, das Zelt aufgebaut, Werbung gemacht und so weiter.“ Seit sieben Generationen sind die Reinhards eine Zirkusfamilie, er kennt kein anderes Leben. Neben ihm kümmert sich seine Frau um ihr kleines Kind, die achte Generation wächst bereits heran. „Man muss schon ein wenig idealistisch und verrückt sein“, sagt Reinhard. „Für das Geld darf man es nicht machen.“ Denn es sind nicht immer 300 Leute bei einer Vorstellung, manchmal sind es auch nur dreißig. Ein durchschnittlicher Arbeitstag hat 15 Stunden, und sein Zirkus zieht mittlerweile das ganze Jahr durchs Land, ohne Winterpause. Alle drei bis zehn Tage baut der Zirkus sein Zelt ab, verstaut die Pferde, Lamas und Kamele und zieht weiter. Die Zeiten mögen sich geändert haben, doch der Zirkus ist noch immer so wie vor fünfzig Jahren, er ist zu einem durchs Land ziehenden Anachronismus verkommen. Und Mike Reinhard muss entscheiden, wo er als Nächstes sein Zelt aufschlagen soll. „Ich lieg manchmal nachts wach und überlege, wohin. Man will dorthin, wo möglichst sonst kein anderer Zirkus ist“, sagt er.

zirkus2

Denn der Circus Aros ist nicht allein mit seiner Mission, Kinderaugen mit Ponyreiten und Zuckerwatte statt PlayStation und McDonald’s zum Leuchten zu bringen. Tatsächlich werden die Zirkusse nicht weniger, sondern immer mehr, sind sich gegenseitig im Weg und geraten sich regelmäßig über ihre Routen in die Haare. Manchmal gastieren innerhalb von zwei Monaten zwei Zirkusse in einer kleinen Gemeinde – und wer als Zweiter kommt, hat das Nachsehen. „Die Leute haben das im Kopf, in den Zirkus geht man nur einmal im Jahr. Das ist für uns ein Problem“, sagt der Zirkusdirektor.

Wie viele Zirkusse tatsächlich durch Österreich tingeln, ist schwer zu sagen; durch die EU-Grenzöffnung dürfen auch Zirkusse aus dem Ausland in Österreich spielen. Klar ist nur: Es sind zu viele. „Letztes Jahr waren dreißig Zirkusse in Österreich unterwegs“, schätzt Mike Reinhard, der aus Deutschland stammt und seit 16 Jahren in Österreich unterwegs ist. In seinem Heimatland explodierte die Anzahl der Zirkusse in den vergangenen Jahren, im dortigen Zirkus-Zentralregister sind 271 Zirkusse gemeldet (ein Äquivalent dazu gibt es in Österreich nicht); Reinhard schätzt die tatsächliche Zahl der deutschen Zirkusse allerdings auf 400. Wahrscheinlich übertreibt er ein bisschen, Fakt ist trotzdem: Viele von ihnen machen gerne einmal einen Abstecher nach Österreich – und den Zirkussen hier das Leben noch mal extra schwer. Dazu kommen Gastspiele von großen internationalen Zirkussen wie dem Circus Roncalli und die pompösen, spektakulären Shows des kanadischen Cirque du Soleil, die Millionen kosten und noch mehr einspielen. „Für Österreich wären fünf, sechs Zirkusse okay. Da könnte jeder gut leben“, sagt Reinhard.

zirkus3

Wie die meisten Zirkusse ist der Circus Aros ein Familienbetrieb. „Wenn es eng wird, haben alle weniger, dann kämpft man gemeinsam. Fremdangestellte bestehen auf ihrer ausgemachten Gage, und das kann man leider nicht immer garantieren“, sagt Reinhard. Mit sechs Artisten bestreitet er zwei Stunden Show, auch die meisten anderen Zirkusse in Österreich, ob sie Safari, Pikard oder Salto heißen, bewegen sich ungefähr in dieser Größenordnung – und haben in etwa dasselbe Programm. Was auch daran liegt, dass gute Nummern aus anderen Zirkussen gerne kopiert werden. Der Direktor des Circus Aros betrachtet seinen eigenen Zirkus mit dem nötigen Realismus. „Wir haben auch nicht die Spitzennummern drin“, sagt Reinhard – und auch gleich dazu, warum: „Wir können es uns nicht mehr leisten, eine Winterpause zu machen und neue Nummern einzustudieren, das muss alles nebenbei passieren.“

zirkus5

Manche Gemeinden sind mittlerweile dazu übergegangen, Zirkussen erst gar keine Genehmigung mehr auszustellen. Denn einige von ihnen bedienen sich zwielichtiger Praktiken. Immer wieder haben Gemeinden mit Zirkussen zu kämpfen, die still und heimlich abreisen, noch bevor die Platzmiete bezahlt ist. Und die Besucher hadern mit angeblichen Gutscheinen, die so viele Einschränkungen enthalten, dass sie eigentlich nie gelten – was unter anderem dazu geführt hat, dass der Circus Safari bereits den Hinweis „Kein Schwindel, kein Betrug“ auf seine Gutscheine druckt. Ende Mai schließlich kam es im deutschen Nürnberg zu einer Razzia beim dort gastierenden Circus Barelli aus Franken.

Den vollständigen Artikel gibt es nur in der Printversion.
Wenn Sie wissen wollen, wo Sie die aktuelle Ausgabe kaufen können, klicken Sie hier
.

Teilen



Navigation

zum Inhalt

  • Aktuelle Ausgabe
  • Bisher erschienen
  • Über Datum
  • Events
  • Wo gibts Datum
  • Lesergalerie
  • Kontakt
  • Hajek Blog
  • Godany Blog
  • Best of Datum 50
  • Trotzdem

Abonnements

Abonnements

Podcast

Start Podcast-Player

MIT iTUNES ABONNIEREN

RSS 2.0 Feed

Archivsuche

Credits

twoday.net
  • xml version of this page
  • xml version of this page (with comments)

zum Inhalt