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Dr. med. Wunder

Geistheiler, Schamanen und andere Alternativmediziner sind in Österreich als Energetiker ohne eigenes Berufsrecht tätig. Von der Schulmedizin fühlen sie sich unterdrückt, den Ärzten unterstellen sie Geschäftemacherei.

Text: Georg Eckelsberger, Johannes Scheutz
Illustration: Peter Diamond
Als Achtjähriger wachte Günther Offenberger eines Morgens auf und bemerkte, dass ihm über Nacht eine Warze auf der Nasenspitze gewachsen war. Der Bub konnte es kaum fassen. Nicht, weil er besonders eitel war, sondern weil er darin ein Zeichen sah. Tagelang hatte er eine Klassenkollegin – mit Warze an exakt derselben Körperstelle – geärgert. Für ihn gab es damals wie heute nur eine Erklärung: Er habe „eine Erfahrung mit Gott“ gehabt, der ihm gezeigt habe, dass man mit Menschen ehrfürchtig umgehen müsse. Das sagt zumindest der heute 41-Jährige, wenn er die Geschichte erzählt. Seiner Überzeugung nach hat er seine übernatürlichen Fähigkeiten durch Gott bekommen. Denn Offenberger ist Hellseher und Geistheiler – seit sechs Jahren hauptberuflich.

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Er ist einer von 18.684 Menschen, die hierzulande das Gewerbe des Energetikers angemeldet haben – das sind mehr, als es niedergelassene Ärzte in Österreich gibt. 13.341 Energetiker üben den Beruf aktiv aus. Schamanen, Geistheiler und andere Alternativmediziner können in dieser Berufsgruppe ebenso Platz finden wie Mentaltrainer und spirituelle Lehrer. Sie haben kein eigenes Berufsrecht und dürfen im medizinischen Bereich keine Diagnosen stellen; dennoch sind sie der Ärztekammer seit Jahren ein Dorn im Auge. Neben ethischen Aspekten geht es im Konflikt zwischen Schul- und Alternativmedizin heute vor allem um wirtschaftliche und rechtliche Fragen. Die Energetikerbranche hat sich zunehmend professionalisiert und sieht sich im Verdrängungswettbewerb mit den Ärzten, die Methoden aus dem alternativen Bereich als Komplementärmedizin selbst anbieten. Beide Gruppen argumentieren mit dem Wohl der Patienten – und werfen sich gegenseitig Geschäftemacherei vor. „Ich habe heute Klienten aus Deutschland, aus der Schweiz und darüber hinaus“, sagt Günther Offenberger. Er selbst lebt und arbeitet in der 3.000-Einwohner-Gemeinde Seiten­stetten im westlichsten Eck Niederösterreichs. Im ersten Stock des Einfamilienhauses hat er seine Praxis eingerichtet. In der Mitte des Raums steht eine Untersuchungsliege, die Offenberger allerdings nur selten braucht. Mit vielen seiner Klienten arbeitet er über die Ferne. „Mich hat schon jemand aus Dubai angerufen“, sagt Offenberger. Für seine „energetische Hilfestellung“ braucht er dabei lediglich ein Foto oder eine Handschriftprobe des Klienten; zehn Minuten pro Tag nimmt er sich für jeden Einzelnen Zeit.

Seit er vor acht Jahren sein Gewerbe als Energetiker angemeldet hat, hat Günther Offenberger, der dafür seinen Job bei BMW in Steyr kündigte, nach eigenen Angaben hochrangige heimische Politiker, prominente Unternehmer und Spitzensportler betreut – auch als Hellseher. Ihre Namen will er nicht in der Zeitung lesen; er möchte das Vertrauen der Klienten nicht enttäuschen. Für die nächsten drei Monate sei er bereits restlos ausgebucht – bei Preisen von 84 bis 120 Euro pro Stunde, die keine Krankenkassa übernimmt. Mit den Tücken seines Berufsstandes habe er sich arrangiert, sagt Offenberger. „Wenn man sich heute als Energetiker an die Regeln hält, hat man die wenigsten Probleme. Ich stelle keine Diagnosen, gebe keine Heilsversprechen ab und verweise immer auf die notwendige Konsultation eines Arztes.“ Wer auch immer zu ihm kommt, ob Klient oder Angehöriger: Er muss genau das per Unterschrift bestätigen.

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Denn wie alle Energetiker muss Offenberger aufpassen, dass er nicht die Vorbehaltsbereiche anderer Gesundheitsberufe verletzt – in erster Linie die der Ärzte. Nach dem österreichischen Ärztegesetz ist unter anderem das Stellen einer Diagnose den Medizinern vorbehalten. Genauso wenig dürfen Energetiker behaupten, Krankheiten geheilt zu haben. Für findige Geistheiler ist das aber kein Hindernis. „Die Formulierung ist ganz wichtig“, sagt Offenberger. „Ich sage: ‚Ich betreue Menschen, die an schulmedizinisch unheilbaren Krankheiten leiden und trotz aller entgegengesetzten Prognosen genesen.‘ Dann habe ich sie nicht geheilt.“

Manfred Schiffner ist Rechtsanwalt und selbst praktizierender Energetiker. Der Steirer hat sich vor mittlerweile zehn Jahren auf eben diese rechtlichen Besonderheiten der Berufsgruppe spezialisiert. Zusätzlich zu seiner Kanzlei in Köflach in der Steiermark hat er im Frühjahr eine weitere Kanzlei im siebenten Wiener Gemeindebezirk eröffnet. Wer sich mit der österreichischen Energetiker-Szene beschäftigt, stößt schnell auf Manfred Schiffner. Neben seinen Tätigkeiten als Anwalt und Energetiker ist er Berufsgruppensprecher der Energetiker in der Wirtschaftskammer Steiermark und stellvertretender Bundesvorsitzender.

„Ich versuche mich für die Alternativmedizin in unserem Land zu engagieren. Das mache ich als Anwalt und in meinen Funktionen im öffentlichen Leben“, sagt Schiffner. Persönlich habe er sich immer schon dafür interessiert. Beruflich war er vor zehn Jahren zum ersten Mal mit Alternativmedizinern konfrontiert. „Damals standen drei Filipinos in meinem Büro. Sie hatten in Österreich ihre Methode der philippinischen Psychochirurgie angewandt – das sind chirurgische Eingriffe durch bloßes Händeauflegen. Die hatten dann natürlich Mordsprobleme.“ Schiffner nahm den Fall an, und nachdem sich keine Geschädigten gemeldet hatten, wurden seine Klienten freigelassen. „Seitdem bin ich in der Szene irrsinnig bekannt geworden.“

Konfliktpotenzial und damit neue Klienten gibt es zuhauf. „Diese Menschen befinden sich in einer Art rechtsfreiem Raum. Sie habe kein Berufsrecht und müssen immer aufpassen, nicht anzustreifen – bei den Ärzten, den Physiotherapeuten oder anderen etablierten Gesundheitsberufen“, sagt Schiffner. „Der Gesetzgeber hat bisher überhaupt nicht reagiert, obwohl draußen schon etwas anderes gelebt wird.“ In Deutschland ist der Beruf des Heilpraktikers, ein geschützter Bereich für Alternativmediziner, etabliert; dieses Berufsbild wollte Schiffner „über die Hintertür“ auch nach Österreich bringen, ging dafür bis an den Europäischen Gerichtshof – und scheiterte. Für die spezielle Situation in Österreich macht er das „Lobbying der Ärztekammer“ verantwortlich.

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