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Kindsmord

Tik heißt in Kapstadt die Droge, die Kinder zu Monstern macht und Teenager zur Raserei bringt. Und Eltern zur Verzweiflung. Ellen Pakkies wusste sich nicht mehr zu helfen und tötete ihren Sohn.

Text: Kristina Maroldt
Fotografie: Urban Zintel
Nachdem sie es getan hat, lässt sie sich Wasser ein für ein Bad. Es ist jetzt ganz still in der Wohnung. Kein Fluchen, kein Schreien. Zum ersten Mal seit Jahren. Sie steigt in die Wanne. Sie wäscht sich. Sie lässt sich Zeit. Keiner wird sie heute stören. Sie ist sicher.

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Als sie sich angezogen hat, geht sie noch einmal in den Schuppen auf dem Hof. Ihr Sohn liegt noch immer auf dem Bett. Den Kopf hat er ins Kissen gebohrt, die Beine angewinkelt. Wie ein erschöpftes Kind, das der Schlaf übermannt hat. Die straffe Schnur um seinen Hals ist in der Morgendämmerung kaum zu sehen.

Sie bleibt eine Weile an der Tür stehen, wartet, ob sie etwas fühlt. Doch da ist nichts. Nur Müdigkeit. Und Erleichterung. Sie schließt die Tür. Dann geht sie zur Arbeit.

Am Morgen des 12. September 2007 tötete Ellen Pakkies, 45, Altenpflegerin aus Kapstadt, ihren zwanzigjährigen Sohn. Sie erdrosselte ihn mit einer Schnur, es muss ein harter Kampf gewesen sein, die Hände der Mutter wiesen nach der Tat tiefe Striemen auf. Am selben Tag stellte sie sich der Polizei. „Ich habe meinen Sohn umgebracht“, sagte sie. „Ich konnte nicht mehr. Es tut mir leid.“ Dann brach sie in Tränen aus, zwischendurch starrte sie ins Leere, lächelte, fing wieder an zu weinen. Man sperrte sie in eine Zelle und ordnete Sonderbewachung an, wegen Selbstmordgefahr.

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Wie kann eine Mutter ihr eigenes Kind töten, ein Wesen, das sie selbst zur Welt gebracht hat? Das sie über Jahre hinweg beschützte und aufzog? Kindsmörderinnen werden fast immer von der Gesellschaft ausgestoßen, werden zu Parias. Ellen Pakkies wurde zur Heldin.

Wer ihre Geschichte verstehen will, muss weg von den schicken Malls und den hippen Bars der Urlaubsmetropole Kapstadt. Hinein in die überfüllten Wohnblöcke und Hütten der Cape Flats. Auf die sandigen Ebenen östlich des Tafelbergs vertrieb das Apartheidregime in den 1960ern und 1970ern alle nichtweißen Kapstädter. Hier wuchs auch Ellen Pakkies auf. Und hier lebt sie heute noch. In Lavender Hill, einem Township, zwanzig Kilometer vom Stadtzentrum entfernt.

Wäsche flattert im heißen Wind zwischen unverputzten Mauern, Kinder turnen auf Mülltonnen herum, aus den offenen Türen der Wohnungen ruft, schimpft, lacht und klappert es. Ellen Pakkies steht auf dem Parkplatz ihres zweistöckigen Wohnblocks und winkt der Besucherin zu. Sie ist eine kleine, gepflegte Frau mit sanften Knopfaugen und elegant geknotetem Seidenschal, die einen zur Begrüßung mit beiden Armen drückt und dann in ihre kleine, durch Gitter geschützte Parterrewohnung schiebt. „Kommen Sie, schnell, die schauen schon.“

Mit dem Kopf deutet sie zum anderen Ende des Parkplatzes. Drei Männer lehnen dort an ihren Autos. Die ausgewaschenen Jeans hängen tief, die nackten Oberkörper sind tätowiert, die Sonnenbrillen verspiegelt. Aus den Autoradios wummert Rap. Auf der Wiese daneben liegt eine Gruppe von Teenagern. „Das sind die Druglords und ihre Kunden“, sagt Ellen Pakkies. „Wenn ich sie sehe, muss ich immer an Abie denken. Er sah genauso aus. Es tut mir noch immer weh.“

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Ellen Pakkies’ jüngster Sohn Abie nahm Drogen, wahrscheinlich schon, seit er zwölf war. Genau kann das seine Mutter nicht sagen. Woran sie sich aber noch sehr gut erinnert, ist jener brütend heiße Sommertag vor acht Jahren. Da nimmt sie in ihrer Wohnung zum ersten Mal diesen Geruch wahr. Als ob jemand Gummibärchen schmilzt. Ellen kennt den Geruch vom Haus neben der Bushaltestelle. „Die kochen dort Tik“, hat ihr eine Bekannte zugeflüstert. „Das ist diese neue Droge, die die Kinder zu Monstern macht. Pass bloß auf, dass dein Bub die Finger davon lässt!“

Mit Abie und ihrem Mann Odneal wohnt Ellen schon damals in der Parterrewohnung in Lavender Hill. Ihr Leben ist eine dieser typischen Township-Biografien. Vom Stiefonkel als Kind vergewaltigt, von den ersten beiden Ehemännern misshandelt, schlägt sie sich jetzt als Altenpflegerin durch. Odneal arbeitet als Parkplatzwächter. Ihre Wohnung ist eine Art Trutzburg gegen das raue Township-Leben: hübsche Möbel, viele Blumen, CDs mit Gospel-Songs, ein sonniger Hinterhof mit Schuppen, vor dem Ellen gerne sitzt und in den Himmel schaut.

Doch jetzt ist da dieser Geruch. Und der Verdacht. Ellen durchsucht die Wohnung. Im Zimmer von Abie, damals 14, findet sie eine aus einer Glühbirne gebastelte Glaspfeife. Am Pfeifenboden kleben festgebackene Pulverreste. Ellen schnüffelt daran: Tik. Tik ist der südafrikanische Name für Methamphetamin. Ein kristallines Pulver, das die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg als Aufputschmittel benutzte und das in den 1990ern in den USA zur Modedroge avancierte. Den südafrikanischen Markt eroberte es um die Jahrtausendwende.

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Es ist ein Klima aus Armut, Frust und Hoffnungslosigkeit, in das die neue Droge einschlägt wie eine Bombe. Aus Zutaten wie Rattengift, Batteriesäure und WC-Duftstein lässt sich Tik spottbillig herstellen. Eine Portion kostet nur 40 Rand, rund fünf Euro. Wer Tik raucht, fühlt sich wie Superman. Wer Tik raucht, muss kaum mehr schlafen. Wer Tik raucht, will Sex.

Vor allem unter den „Coloureds“, der von den Ureinwohnern und den ehemaligen malayischen Sklaven abstammenden Minderheit am Kap, finden die Dealer gute Kunden. Denn die „Coloureds“ sitzen im neuen Südafrika zwischen allen Stühlen. Die Förderprogramme der Regierung richten sich fast nur an Schwarze. Die Mischlinge sind oft ebenso arm. Doch sie bleiben meist außen vor. Auch Ellen Pakkies ist eine „Coloured“.

Bald stechen 15-jährige Burschen für ein paar Rand Passanten nieder. Schulmädchen gehen anschaffen. Die Beschaffungskriminalität steigt zwischen 2002 und 2006 um ein Vierfaches. Bis zu 250.000 Menschen, schätzen Experten, rauchen am Kap regelmäßig Tik.

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Ist Abie einer von ihnen? Ellens Sohn streitet alles ab. Und sie glaubt ihm. Abie ist ihr Lieblingssohn, sie vertraut ihm. Kochen sie nicht jeden Abend zusammen? Erzählen sie sich nicht alles? Doch auf Kochen und Plaudern hat Abie bald keine Lust mehr. Er wird gereizt, schwänzt die Schule, verbarrikadiert sich in seinem Zimmer. Als Ellen sich einmal weigert, ihm Geld zu geben, schlägt Abie aus Wut ein Fenster ein. Bald bricht er die Schule ab und lungert mit seinen Kumpels zwischen den Wohnblocks herum. Nach Hause kommt er nur noch zum Schlafen oder Essen. Als Ellen ihm kein Geld mehr gibt, verkauft Abie seine CDs. Dann seinen Fußball. Dann seine Hosen, Hemden und Schuhe. Er beginnt, seine Eltern zu bestehlen. Erst nur Wechselgeld. Dann Kleider, Geschirr, Besteck, Vorräte. Als Ellen eines Morgens ins Bad kommt, sind die Leitungen aus der Wand gebrochen.

Ellen und Odneal reden mit Abie, allein, gemeinsam. Sechsmal zeigt Ellen ihren Sohn bei der Polizei an, beantragt gerichtliche Verfügungen. Doch immer kommt er nach wenigen Tagen wieder frei. Man könne nichts beweisen, heißt es. Und: Sie solle nicht so drängeln. Als Ellen für ihren Sohn endlich einen Platz in einem ambulanten Rehabilitationszentrum bekommt, verschläft er den ersten Termin und fliegt aus dem Programm.

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christian (Gast) - 1. Jul, 02:41

erschütternd

erschütternd. diese gewalt und orientierungslosigkeit weltweit bei den jugendlichen ist auch darauf zurueckzufuehren dass das tv immer mehr gewaltszenen bringt.

saunabiber (Gast) - 1. Jul, 13:42

erschütternd ist

ihre übersimplifizierung und plumpe erklärung. sie haben schon verstanden, dass die im artikel beschriebenen jugendlichen unter rassismus und ausgrenzung zu leiden haben? das heißt ganz reale, alltägliche gewalt – nicht medial vermittelte.
Nachteule (Gast) - 9. Jul, 01:40

Den vollständigen Artikel gibt es aber nicht nur in der Printversion, sondern auch hier zu lesen: http://diepresse.com/home/panorama/welt/674693/Suedafrika_Die-Kindsmoerderin-vom-Kap ...



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